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In memoriam Djurdjica Petrovic
(7. Mai 1927–12. Januar 2003)
Die deutsche und internationale Südosteuropaforschung und Balkan-Ethnologie
haben den Verlust einer bedeutenden Wissenschaftlerin zu beklagen. Eine liebenswerte Kollegin und enge Vertraute von uns Berliner Balkanologen, mit der wir jahrzehntelang zusammengearbeitet haben und mit der uns wertvolle persönliche Beziehungen verbunden haben, ist von uns gegangen. Wir lernten sie als eine fachlich hochqualifizierte, kluge und weltoffene Kollegin schätzen, deren Rat uns teuer war. In ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit, aber auch durch persönliches Engagement war sie eine wichtige Mittlerin zwischen den westeuropäischen und den balkanischen Kulturen. Die Lücke, die mit ihrem Tod entstanden ist, wird schwerlich zu schließen sein.
Djurdjica Petrović wurde im serbischen Stara Pazova in einer angesehenen
Apothekerfamilie geboren. Ihre Kindheit war durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs überschattet. Ihren 1942 zwangsweise unterbrochenen Schulbesuch konnte sie in Belgrad erst nach Ende des Krieges wieder aufnehmen. 1948 legte sie das Abitur ab und immatrikulierte sich an der Philosophischen Fakultät der Universität Belgrad im Fach Ethnologie. Hier legte sie im Jahre 1952 die Diplomprüfung ab.
Unmittelbar danach nahm sie eine Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Belgrader Militärmuseum [Vojni muzej u Beogradu] auf. Hier widmete sie sich ganze 19 Jahre lang der systematischen Erforschung der auf dem Balkan vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert gebräuchlichen Schutz- und Angriffswaffen. Dabei berücksichtigte sie nicht nur Formen, Konstruktionen und Funktionsweisen, sondern auch Entstehungszusammenhänge, Herstellungsweise und soziokulturelle Rahmenbedingungen der einzelnen Waffengattungen. Auf der Grundlage von erhaltenen Gegenständen und Quellenstudien in verschiedenen Archiven gelang es ihr, die histo-
rischen Zusammenhänge des Waffengebrauchs und des einst sehr entwickelten Waffengewerbes auf dem Balkan zu rekonstruieren. Dabei drang sie in immer weiter zurückliegende Zeiten vor und entdeckte hier interessante Zusammenhänge. Nach zahlreichen Aufsätzen zu einzelnen Waffenarten und deren Herstellung (vgl. in diesem Zusammenhang z.B. Drveni topovi u našoj ratnoj prošlosti [Les canons en bois dans le passé guerrier de notre peuple], Vesnik Vojnog muzeja 5/I, Beograd 1958, 149–162) wurde sie 1964 an der Philosophischen Fakultät der Belgrader Universität mit einer Dissertation zu Oružarski zanati u našoj zemlji u vreme otomanske uprave [Waffengewerbe in unserem Lande zur Zeit der osmanischen Herrschaft] promoviert.
Nachdem Djurdjica Petrović 1971 zunächst zur Außerplanmäßigen Professorin
der Philosophischen Fakultät der Belgrader Universität ernannt wurde, erhielt sie 1979 den Ruf als Ordentliche Professorin auf den Lehrstuhl für Ethnologie der Universität, wo sie bis zu ihrer Pensionierung im Oktober 1992 tätig war. Im Rahmen der Disziplin „Ethnologie Jugoslawiens“, deren Inhalte sie selber konzipierte, lehrte sie zunächst „Ethnologie Kroatiens“ und später „Ethnologie Jugoslawiens – mate-rielle Kultur“. Djurdjica Petrović war eine erfolgreiche und engagierte Universitätsprofessorin, die zahlreiche Studentengenerationen ausgebildet, Magister- und Doktorarbeiten betreut hat. In Anerkennung ihrer Lehr- und Forschungstätigkeit wurde sie als erste Frau zur Dekanin der Philosophischen Fakultät ernannt. Dieses Amt bekleidete sie von 1989 bis 1991. Djurdjica Petrović war darüber hinaus aktives Mitglied zahlreicher nationaler Kommissionen, die der Serbischen Akademie der Wissenschaften, verschiedenen Museen und anderen kulturellen Institutionen beigeordnet
waren. Seit 1988 vertrat sie Jugoslawien im Netzwerk für wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit zur europäischen Ethnologie und Geschichte beim Europarat. Sie war auch Vorsitzende der Ethnologischen Gesellschaft Jugoslawiens. An deutschen Universitäten und wissenschaftlichen Einrichtungen wie auf internationalen Kongressen war sie als Vortragende ein geschätzter und stets gern gesehener Gast.
Djurdjica Petrović absolvierte ihre wissenschaftliche Ausbildung im Fach Eth-
nologie. Im Verlauf ihrer Tätigkeit am Militärmuseum und an der Belgrader Universität erweiterte sie ihren methodischen Ansatz sowie ihre Betrachtungsgegenstände auch auf andere historisch orientierte Bereiche, die man unter dem Begriff ‚Kulturwissenschaften’ subsumieren könnte. Kennzeichnend für ihre Arbeitsweise ist die ganzheitliche Betrachtungsweise von kulturellen Phänomenen, unter Berücksichtigung aller Kontexte und historischer Entwicklungsprozesse. Selbst in Arbeiten zur materiellen Kultur war sie stets darum bemüht, diese zu dem Menschen als ihrem Schöpfer und Benutzer in Beziehung zu setzen und die gegenseitige Durchdringung
verschiedener Kulturen und Traditionen zu berücksichtigen. In ihrer Monographie zu Dubrovniker Waffen im 14. Jahrhundert [Dubrovačko oružje u 14. veku], Beograd 1976, wie in zahlreichen anderen Studien und Beiträgen, mit denen sie bis dahin unbekanntes Archivmaterial zugänglich machte, stellt sie ihre interdisziplinäre Herangehensweise überzeugend unter Beweis. Viele Jahre hindurch durchforstete sie unermüdlich und akribisch die Archive von Kotor, Dubrovnik, Zadar, Venedig und anderer Städte, in denen sie umfangreiches Material zu ihrem Forschungsgegenstand entdeckte. Hierbei halfen ihr ihre Kenntnisse westeuropäischer Sprachen, der lateinischen Paläographie wie auch ihre Fähigkeit zur kritischen Analyse handschriftlicher
Quellen.
Im Verlauf ihrer Forschungsarbeiten an verschiedenen Archiven rückten mittelalterliche Gegebenheiten bei Serben und Kroaten, aber auch bei anderen Völkern des Balkans immer stärker in den Mittelpunkt ihres Interesses. In diesem Zusammenhang widmete sie sich neben Waffen Textilien und der Textilherstellung, ferner mittelalterlichen Luxusgesetzen und anderen Vorschriften kirchlicher und weltlicher Organisationen; der Ernährung sowie Bräuchen und Riten der Bewohner des Balkans; vgl. z.B. in diesem Zusammenhang ihren Beitrag zu Affektive Aktivitäten während des
mittelalterlichen Bestattungsrituals im Zentralbalkan, (in: Laughter & Tears in the Balkan Cultures, ed. by E. Karpodini-Dimitriadi, Athen 1996). Allmählich avancierte sie zu einer international bekannten Spezialistin zu historischen Gegebenheiten der Balkankulturen. Dies geht unter anderem aus ihrem Beitrag zu Firearms in The Balkans on the Eve of and after the Ottoman Conquest of the Forteenth and Fifteenth Centuries (in: War, Technology and Society in the Middle East, London 1975) wie aus ihren 23 Lexikonbeiträgen zu Kleidung, Schuhwerk, Kopfbedeckungen und einer Reihe von Gegenständen des Hausgebrauchs im Lexikon des serbischen Mittelalters [Leksikon srpskog srednjeg veka], Belgrad 2000, hervor.
Seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts widmete sich Djurdjica
Petrović auch der sonst in Serbien kaum beachteten urbanen Ethnologie. In ihren Beiträgen dazu geht sie über ethnologische Fragestellungen weit hinaus und berücksichtigt neben militärisch-strategischen und administrativen auch religiöse, soziologische, politische und ökonomische Gegebenheiten. Ihre Studie zum Alltagsleben in den serbischen Städten in der ersten Hälfte des 16. Jh.s (in: Zeitschrift für Balkanologie 27/2. Berlin 1991, 157–169) vermittelt sie beispielsweise wertvolle Details zur Zahl, zur ethnischen und religiösen Zusammensetzung, zu religiösen und profanen Gebäuden, Gewerbe und Handel, Hygiene, Wohnungseinrichtung, Ernährung und Kleidung der Bewohner von Belgrad, Niš, Smederevo, Kruševac und Novi Pazar im 16. Jahrhundert.
Der wissenschaftliche Beitrag von Djurdjica Petrović zur kulturhistorisch orientierten Balkan-Ethnologie und Südosteuropaforschung ist von bleibendem Wert.
Bereits zu Lebzeiten sicherte sie sich einen wichtigen Platz in der serbischen Ethnologie und Historiographie, die sie wesentlich mitprägte.
Den Zerfall Jugoslawiens und die darauf folgenden Ereignisse und Verhältnisse in ihrem Heimatland erlebte sie, der europäisch denkende liberale Geist, als eine persönliche Tragödie. Lediglich die nicht abgerissenen Kontakte zu ihren deutschen Freunden und Kollegen, aber auch zu ihren Kollegen in Kroatien, Makedonien und Bosnien, regelmäßige Anrufe und Paketsendungen ihrer Hamburger Jugendfreundin Carola und einige kurze Deutschland-Besuche halfen ihr über diese schwere Zeit hinweg. Es ist bedauerlich, dass sie den in Serbien jetzt allmählich in Gang kommenden Demokratisierungsprozess nicht mehr mitgestalten kann.
Wir werden Djurdjica Petrović ein stets ehrendes Andenken bewahren.
Jena/Berlin Gabriella Schuber 2003, Zeitschrift Fur Balkanologie